«They try and treat us like malleable objects to mould or fuck or make money out of.»

„Anyone who writes an autobiography is either a twat or broke. I’m a bit of both.“
Die Autobiographie der Londoner Musikerin und Filmemacherin Viv Albertine, erschienen 2014, startet mit diesem flapsig wirkenden Statement: damit hatte sie mich gleich an Bord. Denn das Genre der Autobiographie finde ich meist unausstehlich, ausser es handelt sich um das Werk einer grossen feministischen Rebellin wie Simone de Beauvoir, Virginia Woolf, Patty Smith oder eben Viv Albertine, die die Musik- und Kulturszene in den 1970er und 80er-Jahren mit der Band The Slits massgeblich und nachhaltig geprägt hat.

Es gibt ein Plattencover der Punk und Wave-Ära, das mich mehr beeindruckt hat als alle andern. Ich sah es im Schaufenster des Plattenladens Winterschatten 1993 an der Ecke Haltinger- Müllheimerstrasse in Basel. Das Schwarzweissfoto mit drei Frauen, nackt bis auf einen zotteligen Lendenschurz, Körper mit Lehm überzogen, Haare wirr und im Hintergrund ein paar Rosenranken. Drauf standen die Worte The Slits und Cut. Es wirkte gefährlich, verwegen und durchgeknallt, wie der Bandname selbst, der aus einem Schimpfwort einen Mythos kreiert hat. Dass Frauen den Objektstatus dadurch unterlaufen, dass sie ihn kapern und zerstören, ist Punk pur. Sie drehen die passive Rolle der Abgebildeten geschickt um, indem sie aktiv in die Kamera – und dadurch in die Augen der Betrachter:innen – starren, ohne Lächeln oder Unterwerfungsgeste. (Cut zählte zu Curt Cobains Lieblingsalben.)

Genauso nachhaltig hatte mich die Basler Punkszene rund um Kreie, Johnny Bauchweh, Betty und Gaba als Gymischülerin beeinflusst und richtiggehend elektrisiert – bis auf den heutigen Tag. Die Stimmung anfangs Achziger Jahre war in der Schweiz düster und sauerstoffarm, einzig Musik, irre Klamotten und eklektisches Styling brachten Farben in den muffigen Alltag. Wer – selbstgenähte – Leoparden- oder Plastikhosen, Neonsträhnen in den Haaren und schwarzes Augenmakeup trug, wurde im Tram und auf der Strasse regelmässig angepöbelt, beschimpft und bespuckt. Und zwar von grauen, vergrämten Normalos, die es nicht aushielten, dass Jugendliche es wagten, ausserhalb von Normen etwas eigenes auszuprobieren.

Being proud of rejection – that’s the punk ethos
Dieses Zitat von John Lydon bringt das Leben von kreativen Menschen auf den Punkt. Du hast keine Chance, nutze sie – war bei uns während der Jugendbewegung der 80er Jahre das entsprechende Mantra. Es gab keinen Freiraum, also besetzten wir Häuser. Es gab keine Hoffnung, also machten wir Action. Es gab keine Unterstützung, also rotteten wir uns zusammen. Die Antworten der Obrigkeit dafür hiess krebserregendes Tränengas, Gummischrot, Schläge und Verzeigungen wegen Landsfriedensbruchs oder Sachbeschädigung, falls die staatlichen Schlägertrupps dich fingen. Kaum warst du verhaftet, schrieben sie Listen der jugendlichen Verbrecher und riefen am nächsten Tag bei den Rektoren Deiner Schulen an, um die Namen der Verhafteten zu petzen. Wohl in der Hoffnung, wir würden von der Schule fliegen. (War natürlich illegal, aber hey: legal, illegal, scheissegal gilt auch für die Polizei, wenn es ihr nützt!)

Words have to be true to your life. Write what you know. And make people think.
Das Buch ist chronologisch aufgebaut und in zwei Teile geteilt – Side One & Side Two – Musik und das Leben danach. Wer selbst Vinylplatten gesammelt, geliebt und immer wiedergehört hat, weiss dass hier eine authentische Musikerin am Werk ist, auch wenn sie selbst ihr Leben lang von Selbstzweifeln geplagt ist.
Das Aufwachsen in der Londoner Nachkriegszeit war hart: mangelndes Selbstwertgefühl kombiniert mit einem gewalttätigen Vater haben Narben hinterlassen. Dass Albertine mütterlicherseits Schweizer Wurzeln hat, wird en passant erwähnt, als die Grossmutter stirbt und der Teenagerin 200 Pfund hinterlässt, mit der sie sich eine elektrische Gitarre kauft – eine Les Paul Junior.
Die Schweiz schmückt sich ja mit gerne mit bekannten Menschen, aber dafür ist unsere Autorin zu rebellisch. Jedenfalls hat bisher noch niemand aus dem Kulturestablishment mit ihr Werbung gemacht.

This world ist not fame or fortune, I never had that: it’s self-expression.
Das Buch besteht aus kurzen thematischen Kapiteln, es ist assoziativ und atmosphärisch geschrieben. Richtiggehend filmisch: es würde sich als Script für einen Biopic mehr als eignen. Aber hier kommen wir zum grossen Bremsklotz: Albertine ist feministisch, rebellisch, unorthodox und nicht als Superweib vorzeigbar. Sie unterläuft alle Versuche, sich als Vorbild aufzublähen. Sie bleibt störrisch bei ihren Grundsätzen: sei authentisch, ehrlich und konsequent, auch wenn es dir und deinem Ansehen oder deiner Karriere nicht wirklich etwas bringt.
Es lohnt sich als Soundtrack zum Buch die Slits Essentials zu hören. Sie haben den Crossover von Punk, Ska, Dub und Dancehall als Pionierinnen mitentwickelt, abgesahnt haben dann andere (Männer)Gruppen.

Behind every successful woman is a man who tried to stop her.
Auch der grosse Punk Fame gilt den Männergruppen wie The Clash, Sex Pistols, Sham 69 oder wie sie alle heissen (und ich liebe sie wirklich heiss). Aber Frauen als Punks? Eine reine Frauenpunkband? Albertine beschreibt detailliert und mit viel Galgenhumor, wie abschätzig und herablassend Gesellschaft, Medien, Musikindustrie und Umfeld auf ihre Musikgruppe reagierten. Und wie sie sich mit Cleverness, Starrköpfigkeit und Chuzpe trotzdem durchsetzten.
Sie steht zu ihren Abstürzen und ihrer Wut. Sie zeigt die Stolperfallen des Patriarchats auf, einfach durch ihre akribischen und nicht beschönigenden Beschreibungen. Und wie sie mit voller Wucht in die Betonwand gekracht ist: in Beziehungen, im Musikbusiness, im Alltag, in der Schule und im Job. Und jedesmal wieder aufstand, den Schmutz abschüttelte und sich nicht verbiegen liess.

Viv Albertine. CLOTHES CLOTHES CLOTHES MUSIC MUSIC MUSIC BOYS BOYS BOYS. Bloomsbury House, London 2014

Von Françoise Célestine Bassand

In Porrentruy, Jura geboren, in Basel zweisprachig aufgewachsen, in Zürich studiert. Seit 1991 als Bildende Künstlerin, Kuratorin und internationale Ausstellungsmacherin tätig. Aufenthalte in USA, Frankreich, Deutschland, Italien, Österreich, Spanien, Griechenland, Dänemark, Schweden, UK, Singapur, Thailand & China. Langjähriges Engagement als Dozentin, im Schulleitungsteam der Zürcher F+F Schule für Kunst und Design sowie Schweizer Schulbehörden (Stadt & Kanton Zürich, Basel-Stadt). Arbeitet selbständig als freie Künstlerin & Kuratorin. Brotjob: Community Management für eine große Schweizer NGO.

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